Asperger-Syndrom

Neurodive Lexikon
Was ist das Asperger-Syndrom?
Das Asperger-Syndrom ist eine Form des Autismus-Spektrums, die früher als eigenständige Diagnose galt. Heute wird es nach den aktuellen Diagnosekriterien (DSM-5, ICD-11) als Teil der Autismus-Spektrum-Störung (ASS) ohne begleitende intellektuelle Beeinträchtigung oder Sprachentwicklungsverzögerung klassifiziert.
Der Begriff geht auf den österreichischen Arzt Hans Asperger zurück. Dessen Verstrickungen mit dem NS-Regime führen dazu, dass sich manche Menschen vom Begriff distanzieren möchten. In Deutschland wird die Diagnose "Asperger-Syndrom" Stand Frühjahr 2025 teilweise noch vergeben, da Krankenkassen noch nach dem ICD-10 abrechnen - wundere dich also nicht, wenn du diese Diagnose erhältst.
Einige Autist*innen verwenden den Begriff "Asperger" oder "Aspie" auch weiterhin zur Selbstbeschreibung, da er ihre spezifische Erfahrung gut widerspiegelt.
Asperger-Syndrom Definition
Die Asperger-Definition beschreibt eine neurobiologische Besonderheit, die sich hauptsächlich durch Unterschiede in der sozialen Kommunikation und Interaktion sowie durch repetitive Verhaltensmuster und spezielle Interessen auszeichnet. Im Gegensatz zu manchen anderen Formen des Autismus zeigen autistische Menschen mit Asperger-Syndrom typischerweise keine verzögerte Sprachentwicklung und haben oft durchschnittliche oder überdurchschnittliche intellektuelle Fähigkeiten
Unterschied zwischen Asperger und Autismus
Du fragst dich vielleicht: Was ist der Unterschied zwischen Asperger und Autismus? Wichtig zu verstehen ist, dass Asperger eine Form des Autismus ist, nicht etwas völlig anderes. Der Begriff "Asperger" wird oft verwendet, um eine spezifische Ausprägung im Autismus-Spektrum zu beschreiben, die sich folgendermaßen charakterisiert:
Gemeinsamkeiten mit anderen Autismus-Formen:
- Besonderheiten in der sozialen Kommunikation
- Repetitive Verhaltensweisen
- Spezielle Interessen
- Sensorische Besonderheiten und Herausforderungen
Typische Merkmale beim Asperger-Syndrom:
- Keine verzögerte Sprachentwicklung
- Oft gute sprachliche Fähigkeiten
- Durchschnittliche oder überdurchschnittliche Intelligenz
- Später erkannt (oft erst im Erwachsenenalter)
Begriffe wie "Vorstufe Autismus" sind irreführend und werden heute nicht mehr verwendet, da Asperger keine Vorstufe, sondern eine spezifische Ausprägung des Autismus-Spektrums darstellt.
Asperger-Syndrom Symptome und Anzeichen
Soziale Kommunikation und Interaktion
In der sozialen Kommunikation können bestimmte Verhaltensweisen Anzeichen für Asperger sein.
- Schwierigkeiten beim Verstehen nonverbaler Kommunikation (Mimik, Gestik, Körpersprache)
- Herausforderungen beim Aufbau und Erhalt von Freundschaften
- Ungewöhnliche Art der Kontaktaufnahme oder des Gesprächsverlaufs
- Schwierigkeiten mit Small Talk und sozialen Ritualen
- Tendenz zu sehr direkter, ehrlicher Kommunikation (was manchmal als "unfreundlich" missverstanden wird)
Repetitive Verhaltensweisen und spezielle Interessen
Die Symptome des Asperger-Syndroms in diesem Bereich umfassen:
• Intensive, spezielle Interessensgebiete
• Bedürfnis nach Routine und Struktur
• Repetitive Bewegungen oder Verhaltensweisen
• Starke Reaktionen auf Veränderungen
• Sammeln von detailliertem Wissen in bestimmten Bereichen
Sensorische Besonderheiten
Viele Menschen mit Asperger-Syndrom erleben:
• Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber Geräuschen, Licht, Berührungen oder Gerüchen
• Besondere Vorlieben oder Abneigungen bei Texturen und Materialien
• Schwierigkeiten mit der sensorischen Verarbeitung
Symptome bei Erwachsenen
Bei Erwachsenen zeigt sich Asperger oft anders als bei Kindern. Ein Grund: Viele haben im Laufe ihres Lebens Strategien entwickelt, um im Alltag irgendwie „durchzukommen“ und unter Radar zu laufen.
Dieses sogenannte Masking oder Camouflaging – also das bewusste oder unbewusste Verstecken autistischer Merkmale – macht es besonders schwer, Autismus im Erwachsenenalter zu erkennen.
Solange die eigenen Ressourcen reichen, bleibt vieles „funktional“. Aber genau das macht Asperger bei Erwachsenen oft zu einer unsichtbaren Form der Behinderung. Erst wenn das System überlastet ist – zum Beispiel durch Stress, Jobwechsel, familiäre Veränderungen oder den Wegfall stabilisierender Routinen – zeigt sich, wie viel Kraft das ständige Maskieren gekostet hat.
In vielen Fällen wird Autismus bei Erwachsenen erst dann erkannt – häufig im Zusammenhang mit einem sogenannten autistischen Burnout.
So zeigt sich Asperger in verschiedenen Lebensbereichen:
Berufsleben
- Exzellente Fähigkeiten in Spezialgebieten
- Schwierigkeiten mit Teamarbeit oder sozialen Aspekten der Arbeit
- Herausforderungen bei Veränderungen im Arbeitsplatz und bei kurzfristiger Planung
- Oft überdurchschnittliche Leistungen in strukturierten Umgebungen
Beziehungen
- Intensive, aber möglicherweise wenige Freundschaften
- Herausforderungen in romantischen Beziehungen
- Schwierigkeiten beim Verstehen unausgesprochener sozialer Regeln
- Ehrliche, direkte Kommunikation
Alltag
- Starke Routinen und Gewohnheiten
- Schwierigkeiten mit spontanen Planänderungen
- Erschöpfung durch soziale Situationen (Masking)
- Besondere Stärken in systematischem Denken
Ursachen des Asperger-Syndroms
Wenn du wissen willst: Was ist die Ursache vom Asperger-Syndrom? – hier ist, was man weiß:
- Genetik spielt eine große Rolle. Familiäre Häufungen treten auf, und es scheinen viele erschiedene Gene beteiligt zu sein.
- Neurobiologische Unterschiede sind messbar (z. B. in der neuronalen Vernetzung bestimmter Hirnareale)
- Es liegt nicht an Erziehung, Bindung oder fehlender „Förderung“!
Mythen wie „Asperger durch Erziehungsfehler“ halten sich hartnäckig – sie sind längst widerlegt und schlicht falsch. Das Asperger-Syndrom ist eine neurobiologische Besonderheit, die nicht durch "falsche" Erziehung verursacht wird. Diese Fehlvorstellung kann zu Schuldgefühlen bei Eltern und zusätzlichem Stress für Betroffene führen.
Tests und Diagnosen
Diagnostisches Verfahren
Ein Test sollte von qualifizierten Fachkräften durchgeführt werden, z.B. Psychiaterinnen oder Psychologinnen mit Autismus-Spezialisierung. Es folgt eine ausführliche Anamnese und Verhaltensbeobachtung. Standardisierte Diagnoseinstrumente und Fragebögen (ADOS, ADI-R) kommen zum Einsatz. Und ganz wichtig ist natürlich der Ausschluss anderer Diagnosen oder Erkrankungen
Bei der aktuellen Versorgungslage kann es allerdings herausfordernd sein, zeitnah einen Termin zur Diagnose zu bekommen. Gerade für Autist*innen mit exekutiver Dysfunktion und sozialen Herausforderungen ist das Sammeln aller benötigten Unterlagen und Überweisungen, das Organisieren von Vorgesprächen usw. nicht immer leicht.
Selbsteinschätzungs-Tools
Um dich selbst besser zu verstehen und eine erste Einordnung zu erhalten, gibt es online etliche Tools zur Selbsteinschätzung.
Wenn du dich fragst: Bin ich ein Asperger-Autist?, kann ein Selbsttest ein erster Anhaltspunkt sein.
Für eine erste Orientierung gibt es verschiedene Online Fragebögen:
- AQ (Autism Quotient)
- RAADS-R
- Cat-Q (besonders interessant für stark maskierende Menschen)
Sie ersetzen keine professionelle Diagnose, können aber hilfreich für die Vorbereitung auf ein Diagnosegespräch sein.
Du brauchst übrigens keine offizielle Diagnose, um mit deiner eigenen Suche nach Antworten zu beginnen.
Für viele ist ein Selbsteinschätzungstest nicht nur ein Fragebogen – sondern ein erster Schritt in Richtung Selbstverständnis und Erleichterung.
In der autistischen Community ist Selbstdiagnose in der Regel völlig anerkannt.
Wer sich als autistisch identifiziert, hat meist schon einen langen Weg hinter sich:
Stunden an Recherche, Selbstbeobachtung, Reflektion, Fehldiagnosen – oft mehr, als manche im Diagnoseprozess erleben.
Und der Zugang zur neurodivergenten Community – vielleicht die erste, in der du dich wirklich zugehörig und verstanden fühlst – ist nicht an ein offizielles Schreiben gebunden.
Du darfst dazugehören. Jetzt schon. Ohne „Stempel“.
Diagnose im Erwachsenenalter
Die Diagnose bei Erwachsenen kann herausfordernd sein, denn viele haben Bewältigungsstrategien entwickelt, und Symptome können durch Traumata und andere Erfahrungen überlagert sei. Zudem gibt es weniger spezialisierte Diagnostiker*innen für Erwachsene.
Asperger-Syndrom Behandlung und Therapie
Ist Asperger eine Krankheit?
Aus medizinischer Sicht wird ASS als "Störung" klassifiziert, viele Betroffene sehen es jedoch schlicht als neurologische Besonderheit oder Neurodivergenz. Die Sichtweise beeinflusst auch den Therapieansatz - das eigene Gehirn sollte idealerweise nicht als schlechter, sondern als anders verdrahtet verstanden werden.
Therapie-Ansätze bei der Diagnose Asperger-Syndrom
Wichtig: Ziel einer Therapie ist nicht, Autismus zu "heilen" - wenn du so etwas hörst, sollten die Alarmglocken läuten. Sinnvolle Ziele sind es hingegen, die Lebensqualität zu verbessern und Stärken zu fördern.
Psychotherapie,Verhaltenstherapie
Bewältigung von komorbiden Depression oder Angststörungen
- Aufbau von Selbstwertgefühl
- Förderung sozialer Kompetenz
- Kommunikationstraining
- Bewältigungsstrategien für schwierige Situationen
Ergotherapie
- Sensorische Integration
- Alltagsfertigkeiten
- Arbeitsplatzanpassungen
Logopädie
- Pragmatische Sprachfertigkeiten
- Nonverbale Kommunikation
- Gesprächsführung
Medikamentöse Behandlung
Es gibt keine spezifische Medikation für Autismus. Medikamente können jedoch bei Begleiterkrankungen helfen:
- Antidepressiva bei Depression oder Angststörungen
- Medikamente bei ADHS-Symptomen
- Schlafmittel und beruhigende Medikation bei Schlafproblemen
Leben mit dem Asperger-Syndrom
Stärken und Talente / Spezialinteressen
Menschen mit Asperger-Syndrom haben oft besondere Fähigkeiten:
- Detailgenauigkeit und Präzision
- Logisches und systematisches Denken
- Hohe Konzentrationsfähigkeit
- Ehrlichkeit
- Tiefes Wissen in Spezialinteressen
Herausforderungen im Alltag
Menschen mit Asperger-Syndrom haben oft besondere Fähigkeiten:
- Sozialer Stress und "Masking"
- Sensorische Überlastung
- Veränderungen und Unvorhersehbarkeit
- Missverständnisse in der Kommunikation
Unterstützungsmöglichkeiten
- Selbsthilfegruppen und Peer-Support
- Online-Communities
- Aufklärungs- und Beratungsstellen
- Berufliche Unterstützung, Job-Coaching
Selbstakzeptanz und Community
Hinweis: Dieser Artikel dient der Information und ersetzt keine professionelle Beratung oder Diagnose. Bei Fragen zur eigenen Situation solltest du dich an qualifizierte Fachkräfte wenden.
Weiterführende Ressourcen
Für detailliertere Informationen und aktuelle Forschungsergebnisse empfiehlt es sich, wissenschaftliche Quellen und spezialisierte Beratungsstellen zu konsultieren. Die Autismus-Forschung entwickelt sich kontinuierlich weiter, und das Verständnis für das Autismus-Spektrum vertieft sich stetig.
Im Folgenden verlinke ich dir eine einige Buchempfehlungen sowie ein Video mit einem guten Überblick über unsere aktuelle Sicht auf Autismus/ ASS (englisch).
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