AuDHS

Neurodive Lexikon

AuDHS bedeutet, dass eine Person gleichzeitig die neurologischen Besonderheiten von ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und Autismus (Autismus Spektrum Störung - ASS) in sich trägt. Lange Zeit galt diese Kombination offiziell als unmöglich – erst seit etwa 2013/2014 dürfen beide Diagnosen nebeneinander gestellt werden. Seitdem wächst die Zahl der Menschen, die sich in diesem Profil wiederfinden, und auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung nimmt zu.

Wichtig ist: AuDHS ist keine eigene Störung, sondern eine Doppeldiagnose. Gleichzeitig bringt sie jedoch sehr eigene Herausforderungen mit sich, die nicht einfach aus „Autismus + ADHS“ bestehen. Viele Betroffene berichten von einem besonders „spiky profile“ – also von sehr ausgeprägten Stärken in manchen Bereichen und zugleich gravierenden Schwierigkeiten in anderen. Häufig stehen sich die Bedürfnisse der beiden Anteile regelrecht gegenüber: Das ADHS-Bedürfnis nach Geselligkeit und Abwechslung kollidiert zum Beispiel mit dem autistischen Bedürfnis nach Ruhe, Routine und Reizarmut.

Die Bezeichnung „Störung“ wird in der neurodivergenten Community ohnehin kritisch gesehen. Autismus und ADHS sind keine Defekte, sondern neurobiologische Besonderheiten. Was als „Störung“ beschrieben wird, entsteht oft erst durch die gesellschaftlichen Strukturen, die vor allem auf Effizienz, Multitasking und soziale Normen ausgelegt sind – Strukturen also, die für neurodivergente Gehirne nicht geschaffen wurden. Aus dieser Perspektive ist AuDHS nicht in erster Linie ein individuelles Defizit, sondern eine besondere Art, die Welt wahrzunehmen und zu gestalten.

Für viele Menschen ist die Diagnose – ob offiziell oder durch fundierte Selbstdiagnose – ein wichtiger Schritt des Verstehens: Endlich ergibt das eigene Erleben Sinn, und man kann passende Strategien entwickeln, um sowohl die Stärken als auch die Herausforderungen zu leben.

AuDHS Diagnose

Bis vor rund zehn Jahren galt die Kombination aus Autismus und ADHS in offiziellen Diagnosesystemen als unvereinbar. In älteren Versionen des DSM (Diagnostisches und Statistisches Manual psychischer Störungen) und der ICD (Internationale Klassifikation der Krankheiten) war festgelegt, dass nicht beide Diagnosen gleichzeitig vergeben werden durften. Fachleute mussten sich also für eine entscheiden – auch dann, wenn Menschen eindeutige Symptome von beiden Profilen zeigten.

Das änderte sich 2013 mit der Veröffentlichung des DSM-5. Dort wurde die Möglichkeit einer Doppeldiagnose von Autismus und ADHS erstmals offiziell anerkannt. Kurz darauf folgte auch die Anpassung im ICD-10 und noch präziser im ICD11 (2022 in Kraft getreten), die nun ebenfalls beide Diagnosen nebeneinander erlaubt.

Diese Veränderung hat enorme Bedeutung:

  • Sie öffnete die Tür für präzisere Diagnostik, die Menschen nicht länger in eine Schublade zwingt.
  • Sie machte sichtbar, dass es eine große Gruppe gibt, deren Erfahrungen vorher unsichtbar blieben.
  • Sie stärkte die Position derjenigen, die schon lange darauf hingewiesen hatten, dass ihre Realität nicht in die alten Kategorien passte.

Besonders in den letzten zehn Jahren hat die Forschung zu AuDHS Symptomen, zur Diagnostik bei Erwachsenen und zu den besonderen Herausforderungen bei Frauen und Mädchen Fahrt aufgenommen. Gleichzeitig berichten viele Betroffene, dass ihre AuDHS-Diagnose für sie der erste Schritt zu einem stimmigeren Selbstverständnis war: Endlich war es möglich, die eigenen Widersprüche nicht als persönliches Versagen, sondern als Ausdruck einer komplexen neurologischen Besonderheit zu begreifen.

Symptome von AuDHS - und besondere Herausforderungen

Die Symptome von AuDHS sind nicht einfach die Summe von Autismus + ADHS. Vielmehr entsteht ein eigenes Profil mit besonderen Stärken und Schwierigkeiten. Viele Betroffene beschreiben es als ein spiky profile – manche Fähigkeiten ragen weit heraus, andere Bereiche sind auffallend schwach ausgeprägt.

Typische Spannungsfelder sind zum Beispiel:

  • Geselligkeit vs. Reizüberflutung: ADHS-Anteile bringen oft ein starkes Bedürfnis nach Austausch, Abwechslung und Gemeinschaft mit. Gleichzeitig kann die autistische Seite durch Lärm, Unruhe oder zu viele Reize schnell überlastet sein.
  • Flexibilität vs. Routine: ADHS kann für Spontaneität, Ideenvielfalt und Neugier sorgen – während die autistische Seite Halt in Strukturen, Vorhersehbarkeit und festen Abläufen sucht.
  • Fokus vs. Zerstreuung: Manche erleben hyperfokussierte Phasen, in denen der autismus-typische Monotropismus sich zeigt und sie außergewöhnlich tief in ein Thema eintauchen – gefolgt von Phasen der Sprunghaftigkeit oder Erschöpfung.
  • Selbstwahrnehmung und Grenzen: Während Autismus oft mit Schwierigkeiten mit sozialen Codes einhergeht, bringt ADHS Impulsivität, aber auch Geselligkeit mit sich. Beides kann dazu führen, dass Betroffene ihre eigenen Grenzen übergehen, dass Freunde von den sehr unterschiedlichen "Launen" irritiert sind oder dass soziale Rückmeldungen - je nach Situation und Energielevel - sehr unterschiedlich und damit für die Betroffenen verwirrend sind.

Viele fragen sich: „Habe ich AuDHS?“ – und stellen fest, dass Selbsttests im Internet nur grobe Hinweise geben können. Ein Selbsttest ersetzt keine professionelle Diagnostik, kann aber ein erster Schritt sein, die eigenen Erfahrungen einzuordnen. Da professionelle Diagnostik immer noch mit langen Wartezeiten verbunden ist - und es leider noch immer Psychiater und Psychologen gibt, die ADHS und Autismus als einander ausschließende Konditionen betrachten - begeben sich einige auf eine jahrelange, intensive und gründliche Recherche und Selbsteinordnung. Diese Form der Selbstdiagnose ist in der aktuellen Versorgungslage wichtig und wird in der neurodivergenten Community akzeptiert.

AuDHS bei Frauen

Besonders spannend ist die Perspektive von Frauen mit AuDHS. Lange Zeit wurden ihre Symptome übersehen, weil sie oft stärker maskieren – also typische Verhaltensweisen verstecken, um gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen. Viele Frauen berichten, dass sie jahrelang als „sensibel“, „träumerisch“ oder „chaotisch“ eingeordnet wurden, bis eine AuDHS Diagnose im Erwachsenenalter endlich Klarheit brachte.

AuDHS Burnout

Eine besondere Herausforderung ist der sogenannte AuDHS Burnout. Die dauerhafte Anstrengung, widersprüchliche Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen – etwa zwischen dem Drang nach Stimulation und dem Bedürfnis nach Rückzug – kann langfristig zu Erschöpfung, Depression oder sozialem Rückzug führen. Masking trägt in besonderem Maße zu Erschöpfungszuständen und geschwächter Gesundheit bei. Viele Betroffene berichten ein zyklisches Wiederkehren der Phasen - z.B. alle paar Jahre ein neuer Job oder eine neue Herausforderung, Masking und Kompensation, gefolgt von Erschöpfung, immer längeren Krankheitsphasen und langen Phasen der Erholung, in denen tägliche Abläufe kaum zu bewältigen sind. Um diesen Bunrout-Zyklus zu durchbrechen, sind Diagnostik, Verständnis der spezifischen Schwierigkeiten und Anpassungen im Alltag essenziell. Gesellschaftlich ist eine Verbesserung der Versorgung und ein besseres Verständnis neurologischer Besonderheiten wie ADHS und Autismus notwendig.

Diagnostik und Tests: Wie wird AuDHS erkannt?

Lange Zeit galt die gleichzeitige Diagnose von Autismus und ADHS als widersprüchlich. Erst seit etwa 2013/2014 (mit der Überarbeitung der Diagnosemanuale DSM-5 und später ICD-10 - noch expliziter im neuen ICD-11) ist es offiziell möglich, dass beide Diagnosen nebeneinander gestellt werden. Davor mussten Fachleute sich entscheiden: „Autismus oder ADHS“. Damit gingen viele Betroffene lange leer aus oder erhielten nur eine Teil-Diagnose, die ihr Erleben nicht vollständig abbildete.

Offizielle Diagnostik

Eine AuDHS Diagnose erfolgt durch Fachpersonal, meist in mehrstufigen Verfahren:

  • ausführliche Anamnese und Entwicklungsbiografie
  • standardisierte Fragebögen und Tests zu ADHS und Autismus
  • Verhaltensbeobachtung
  • Gespräche mit Angehörigen oder Menschen aus dem Umfeld

Besonders bei Erwachsenen ist die AuDHS Diagnostik herausfordernd, da viele bereits Strategien entwickelt haben, ihre Schwierigkeiten zu kompensieren oder zu maskieren. Symptome zeigen sich dann nicht immer klar. Auch AuDHS bei Kindern wird noch oft übersehen, weil Lehrkräfte oder Ärzt:innen eher das eine oder das andere Bild im Kopf haben.

Warum die Diagnose so herausfordernd ist

Überlappende Symptome

Konzentrationsprobleme, Reizüberflutung oder soziale Schwierigkeiten können sowohl ADHS- als auch Autismus-bedingt sein.

Gegensätzliche Bedürfnisse:

Geselligkeit und Stimulationssuche (ADHS) stehen manchmal im Konflikt mit dem Bedürfnis nach Ruhe und Routine (Autismus).

Masking und Kompensation

Besonders bei Frauen und weiblich gelesenen Personen werden Schwierigkeiten oft durch jahrelanges Anpassen kaschiert, was kräftezehrend sein kann.

Fehlendes Fachwissen

Auch heute kennen noch nicht alle Diagnostiker*innen das Konzept AuDHS, was zu Fehldiagnosen und langen Umwegen führen kann.

Tests und Fragebögen

Eine professionelle AuDHS Diagnose besteht immer aus mehreren Schritten: Anamnesegespräche, standardisierte Fragebögen, Beobachtungen und ggf. Testungen. Hilfreich für den ersten Überblick können Selbsttests sein, die Hinweise geben, ob eine neurodivergente Besonderheit vorliegen könnte:

  • CAT-Q (Camouflaging Autistic Traits Questionnaire) – erfasst, in welchem Ausmaß autistische Menschen ihr Verhalten maskieren. Besonders relevant, da Masking die Diagnose oft verzögert.
  • RAADS-R (Ritvo Autism and Asperger Diagnostic Scale – Revised) – ein weiteres Screening-Instrument für Autismus.
  • ASRS (ADHS Selbstbeurteilungsskala) – standardisierter Fragebogen zur Erfassung von ADHS-Symptomen bei Erwachsenen.

Solche Tests können wertvolle Anhaltspunkte liefern, ersetzen aber keine professionelle Diagnostik. In der autistischen und ADHS-Community sind Selbstdiagnosen dennoch anerkannt – nicht zuletzt, weil Diagnosen oft schwer zugänglich sind, und viele Betroffene enorm viel Zeit und Recherche investieren, bevor sie sich selbst mit AuDHS identifizieren.

Warum sind AuDHS Diagnosen wichtig?

Eine AuDHS Diagnose bei Erwachsenen - also eine gleichzeitige Diagnose von ADHS und ASS - kann helfen, das eigene Leben neu zu verstehen - was für Betroffene oft als entlastend erlebt wird. . Viele erleben dadurch einen Perspektivwechsel: Sie sehen ihre bisherigen „Fehler“ in einem neuen Licht – als Ausdruck einer neurologischen Besonderheit, nicht als persönliches Versagen.

Professionelle Diagnosen ebnen auch den Weg für Unterstützung durch Medikamente und gezielte Psychotherapie - das können Selbsttest und Communities nicht. Passende Unterstützung wird möglich - durch Medikamente, Coaching, Therapie, Anpassungen im Alltag, Nachteilsausgleich in Schule und Beruf sowie Selbsthilfegruppen.

Vor allem aber gibt die Diagnose Worte für ein Erleben, das viele schon ihr Leben lang begleitet – und das ist oft der erste Schritt zu Selbstakzeptanz.

Medikamente und Unterstützung bei AuDHS

Wenn die Diagnose gestellt ist, stellt sich schnell die Frage nach der Behandlung von AuDHS. Wichtig ist: Es gibt keine spezifischen AuDHS Medikamente – denn AuDHS ist keine eigene Störung, sondern die Kombination zweier neurologischer Besonderheiten. Ärzt:innen verschreiben daher meist Medikamente, die entweder bei ADHS oder bei Autismus-bedingten Begleiterscheinungen helfen.

Medikamente

  • Stimulanzien wie Methylphenidat oder Amphetamine werden häufig bei ADHS-Anteilen eingesetzt. Sie können helfen, den Fokus zu verbessern und Struktur im Alltag zu erleichtern. Die Seite adxs.org liefert hier einen deep Dive in verschiedene Medikamente - für alle, die sich genauer einlesen wollen.
  • Bei Autismus-Anteilen stehen Medikamente weniger im Vordergrund, da Autismus selbst nicht „behandelt“ werden kann und auch nicht sollte. Allerdings können Medikamente gegen Begleiterkrankungen wie Angststörungen, Depressionen oder Schlafprobleme verschrieben werden.

Viele Betroffene berichten, dass die Wirkung von Stimulanzien bei AuDHS sehr unterschiedlich ausfallen kann. Hier ist Feingefühl und eine gute ärztliche Begleitung entscheidend.

AuDHS - Burnout unterstützen und begleiten

Unterstützung im und vorbeugend gegen AuDHS Burnout ist besonders wichtig. Durch die widersprüchlichen Bedürfnisse – einerseits das Bedürfnis nach Stimulation, Abenteuer, Austausch (ADHS), andererseits die Notwendigkeit von Ruhe, Routinen und Schutz vor Reizüberflutung (Autismus) – laufen viele AuDHS-Menschen ständig auf Hochtouren. Die Folge: chronische Erschöpfung bis hin zum autistischen oder ADHS-bedingten Burnout.

Strategien zur Vorbeugung:

  • Energiehaushalt beobachten / "Pacing" (Wann sind Pausen nötig? Wann ist Überlastung spürbar?)
  • Realistische Strukturen schaffen, die sowohl Abwechslung als auch Rückzug erlauben
  • Selbstakzeptanz üben - nicht jedes Bedürfnis muss permanent erfüllt werden, aber es verdient Anerkennung
  • Community-Support - Austausch mit anderen AuDHS-Betroffenen bringt oft das größte Verständnis
  • Antidepressive oder schlaffördernde Medikamente können in einigen Fällen helfen, um das Nervensystem zu Ruhe zu bringen, Schalfstörungen zu lindern und die nötige Erholung zu finden. Hierbei ist wichtig, dass die Art der Antidepressiva und eventuell ebenfalls verschriebende ADHS Medikation zusammen passen und sich nicht gegenseitig behindern.

Alltagsstrategien

Neben Medikamenten sind es oft kleine, kreative Lösungen, die am meisten helfen:

  • Tools und Routinen (z. B. Planungsapps, Timer, visuelle Strukturen)
  • Body Doubling - gemeinsam arbeiten, auch online, um Motivation und Fokus zu halten
  • Selbstdiagnose und Selbstverständnis -sich selbst besser zu verstehen, ohne auf eine formale Diagnose zu warten, kann entlastend wirken
  • Therapie & Coaching - nicht zur „Heilung“, sondern zur Stärkung der Selbstorganisation und zum Umgang mit Stress

AuDHS bei Frauen

In den letzten Jahren wird immer deutlicher, dass AuDHS bei Frauen lange übersehen wurde. Viele Mädchen und Frauen erhalten ihre Diagnose erst sehr spät – oft erst im Erwachsenenalter. Das liegt zum einen daran, dass sowohl ADHS Symptome als auch Autismus Symptome bei Frauen oft anders auftreten als bei Männern, zum anderen an gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbildern. Generell werden neben Frauen auch Minderheiten häufiger übersehen.

Warum AuDHS bei Frauen übersehen wird

  • Masking - Frauen und weiblich gelesene Personen lernen schon früh, ihre Auffälligkeiten zu überspielen und sich „angepasst“ zu verhalten. Sie imitieren Verhaltensweisen anderer, lächeln häufiger, vermeiden offene Konflikte und wirken dadurch „unauffällig“.
  • Geschlechterrollen - Von Mädchen wird oft erwartet, brav, hilfsbereit und sozial zu sein. Abweichendes Verhalten wird daher schneller als „Charaktersache“ oder „Schüchternheit“ abgetan – nicht als möglicher Hinweis auf ADHS oder Autismus.
  • Diagnostische Vorurteile - Viele Diagnosekriterien sind historisch auf Jungen zugeschnitten. Mädchen mit ADHS zeigen häufiger die unaufmerksame Form (früher ADS) statt die hyperaktive - autistische Mädchen haben oft "sozialverträglichere" Spezialinteressen und nicht das Klischee wie "Züge und Technik". Daher werden sie öfter übersehen.

Typische AuDHS Symptome bei Frauen

  • Starke Reizempfindlichkeit, oft kombiniert mit hoher Anpassungsleistung
  • Übermäßige Erschöpfung durch ständiges Maskieren und gleichzeitigen Versuch, den ADHS-Anteil zu „managen“
  • Spezialinteressen, die häufig als „normale Hobbys“ durchgehen, aber ungewöhnlich intensive Fokusthemen sind. Frauen mit AuDHS wechseln ihre Spezialinteressen z.T. häufiger als austistische Frauen ohne ADHS-Anteil.
  • Soziale Schwierigkeiten und Nähe-Distanz-Probleme, Schwierigkeiten mit Freundschaften, manchmal soziale Isolation trotz äußerlich „freundlicher“ Fassade
  • Innere Anspannung und Selbstzweifel - viele AuDHS-lerinnen fühlen sich chronisch „falsch“ oder „nicht gut genug“

Folgen einer späten Diagnose

Frauen, die erst spät erfahren, dass sie ADHS und Autismus gleichzeitig in sich tragen, berichten oft von einem Gefühl tiefer Erleichterung – endlich gibt es eine Erklärung für die jahrelangen Kämpfe mit Überforderung, Selbstwertproblemen und Erschöpfung. Gleichzeitig bedeutet die späte Diagnose auch, dass viele Strategien erst spät erlernt werden können und sich zusätzlich komplexe Traumata entwickeln können, weil die Symptome jahrzehntelang falsch gedeutet werden. Nicht selten liegt eine ganze Reihe an Fehldiagnosen hinter den Betroffenen und sie werden fälschlicher weise in Schubladen wie z.B. Borderline oder Depression gesteckt, die aber nicht die Ursache der Probleme erfassen.

Die Bedeutung von AuDHS bei Frauen liegt deshalb nicht nur in der klinischen Diagnose, sondern vor allem im kulturellen und gesellschaftlichen Verständnis: Frauen brauchen mehr Sichtbarkeit, passende Diagnostik und Räume, in denen ihre Erfahrungen ernst genommen werden.

Symptome im Vergleich: ADHS – Autismus – AuDHS

Die Symptome von ADHS und Autismus können sich ähneln, ergänzen oder widersprechen. Wer beides hat – also AuDHS – erlebt häufig eine Mischung aus beidem. Hier eine Übersicht der typischen Kernsymptome beider Diagnosen, angelehnt an die Fachliteratur (Schöttle et al., 2019

Aufmerksamkeit & Konzentration

  • ADHS: Leicht ablenkbar, Flüchtigkeitsfehler, häufiges Wechseln zwischen Aufgaben, schnelle Reizüberflutung durch äußere Reize.
  • Autismus: Hohe Detailorientierung, intensive Fokussierung auf bestimmte Themen oder Tätigkeiten, Schwierigkeiten beim Wechsel der Aufmerksamkeit.

Impulsivität & Aktivität

  • ADHS: Motorische Unruhe, Zappeln, Schwierigkeiten, still zu sitzen, impulsive Entscheidungen und Kommentare.
  • Autismus: Weniger Impulsivität, eher rigide Handlungsweisen; Bewegungen können repetitiv oder ritualisiert sein (z. B. Stimming).

Organisation & Alltag

  • ADHS: Schwierigkeiten bei Planung und Organisation, Probleme mit Zeitmanagement, Vergesslichkeit, chaotische Strukturen.
  • Autismus: Starkes Bedürfnis nach Ordnung, Routinen und Vorhersagbarkeit; Probleme entstehen eher, wenn Strukturen von außen verändert werden.

Soziale Interaktion

  • ADHS: Tendenz, andere zu unterbrechen, Gespräche nicht zu Ende zu führen, Themen sprunghaft zu wechseln.
  • Autismus: Schwierigkeiten beim Erfassen nonverbaler Signale, wörtliches Sprachverständnis, Probleme mit „zwischen den Zeilen lesen“, hinterherhängen in Gesprächen, um den Inhalt des Gesagten zu überprüfen, "Delayed Processing".

Emotionale Regulation

  • ADHS: Starke, oft impulsive Gefühlsausbrüche, schnelle Reaktionen auf Frustration.
  • Autismus: Emotionen wirken nach außen manchmal gedämpft oder verzögert, innere Gefühlswelt kann sehr intensiv sein; Meltdowns oder Shutdowns bei Überlastung.

Reizverarbeitung

  • ADHS: Ständige Ablenkung durch äußere Reize, Probleme, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.
  • Autismus: Über- oder Unterempfindlichkeiten gegenüber Sinnesreizen (Geräusche, Gerüche, Haptik); sensorische Besonderheiten prägen das Alltagsleben stark.

👉 Und bei AuDHS?

Die Symptome können sich überlagern. Zum Beispiel:

  • Ablenkbarkeit (ADHS) kombiniert mit sensorischer Überempfindlichkeit (Autismus) = besonders hohe Reizüberlastung.
  • Bedürfnis nach Geselligkeit und Impulsivität (ADHS) kollidiert mit Rückzugsbedarf und Routinen (Autismus).
  • Chaos im Alltag (ADHS) trifft auf rigides Bedürfnis nach Ordnung (Autismus) – was zu ständiger innerer Spannung führen kann.

Gerade weil sich Symptome von ADHS und Autismus überschneiden, aber auch widersprechen können, wird AuDHS häufig übersehen oder fehldiagnostiziert. Das Zusammenspiel der beiden Neurotypen führt zu einem besonders „spiky Profile“ – also sehr ausgeprägten Stärken bei gleichzeitigen, teils gegensätzlichen Herausforderungen. Wer AuDHS hat, lebt oft in einem ständigen Balanceakt zwischen Reizsuche und Reizschutz, zwischen Flexibilität und Routine, zwischen Impulsivität und Strukturbedürfnis.

AuDHS als Herausforderung und Chance

AuDHS ist kein „neues Etikett“, sondern eine wichtige Anerkennung dafür, dass ADHS und Autismus nicht nur gleichzeitig vorkommen können, sondern in dieser Kombination auch ein eigenes Erleben mit besonderen Herausforderungen und Stärken entsteht. Erst seit rund zehn Jahren wird offiziell diagnostiziert, was viele Betroffene schon lange gespürt haben: dass ihre Erfahrungen sich mit einer einzelnen Diagnose nicht vollständig erklären lassen.

Wer mit AuDHS lebt, kennt den ständigen Balanceakt zwischen gegensätzlichen Bedürfnissen – Reizsuche und Rückzug, Geselligkeit und Ruhe, Spontaneität und Struktur. Gerade diese Spannungsfelder können jedoch auch zu kreativen Lösungen, ungewöhnlichen Perspektiven und intensiven Leidenschaften führen.

Wenn wir es schaffen, AuDHSler*innen besser zu erkennen und zu unterstützen, können wir als Gesellschaft von ihren ungewohnten Blickwinkeln, ihrem Out-of-the-Box-Thinking und den hyperkreativen Verbindungen profitieren, die aus der Kombination von monotropischem Eintauchen (ASS) und Offenheit für Input (ADHS) entstehen.

Wichtig ist: Die „Störung“ liegt nicht in den Menschen, sondern in den Strukturen einer Gesellschaft, die auf Effizienz und Einheitlichkeit ausgelegt ist. Je mehr Raum wir schaffen für unterschiedliche Denk- und Lebensweisen, desto deutlicher wird sichtbar, dass AuDHS nicht nur Einschränkungen bedeutet, sondern auch eine Form neurodivergenter Vielfalt, die unsere Gemeinschaft bereichert.

👉 Wenn dich solche Themen bewegen: Im Neurodivergenz Lexikon findest du weitere Begriffe, die helfen, neurodivergentes Erleben in Worte zu fassen – und im Newsletter gibt es regelmäßig neue Einblicke und Impulse. Trag dich gern ein!

  

Weiterführende Ressourcen

Screenshot der AUDHS Weiterbildungs-Ressource

Wer sich intensiver mit AuDHS befassen will, findet in diesem Paper von Schöttle et al. („ADHS und hochfunktionale Autismus-Spektrum-Störungen“) eine hervorragende Ressource - mit einer detaillierten Gegenüberstellung der Symptome bei ADHS und Autismus sowie einer umfangreichen Quellensammlung von Studien zum Thema:

Screenshot der Studie zu ADHS und Autismus - Medizinische Hochschule Hannover

Eine kleinere Studie der Medizinischen Hochschule Hannover bestätigt die erhöhte Prävalenz von Symptomen aus dem Autismus Spektrum bei ADHS Patient*innen und stellt zur Diskussion, dass bei ADHS Diagnosen verstärkt auf Anzeichen für autismustypische Herausforderungen geachtet und ggf. Unterstützung im sozialen Bereich gewährleistet werden sollte. Auf der anderen Seite gibt es Anzeichen dafür, dass auch bei Autist*innen Imbalancen im Dopaminhaushalt eine Rolle spielen - als logische Schlussfolgerung würde einige Patient*innen dieser Gruppe daher von ADHS Mredikamenten profitieren.

Genereller Disclaimer

Die Informationen in diesem Lexikon-Eintrag basieren auf meinen persönlichen Recherchen und Erfahrungen als neurodivergente Person. Ich bin eine "random person on the internet" und keine medizinische Fachkraft. Dieser Beitrag ersetzt keine professionelle medizinische, therapeutische oder psychologische Beratung.

Mein Ziel ist es, Wissen und Verständnis für neurodivergente Erfahrungen zu teilen - nicht, medizinische Ratschläge zu geben. Jede Person ist einzigartig, und was für mich oder andere funktioniert, muss nicht zwangsläufig für dich passen.

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